
MAA spricht mit Eva Stengel
Keine Schokolade ohne Biodiversität
Im sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte verschwinden täglich unzählige Arten – mit dramatischen Folgen für Mensch und Natur. Biodiversität ist nicht nur ein ökologisches Konzept, sondern die Grundlage unseres Lebens. Doch was kann ein jeder von uns tun, um diesen Prozess aufzuhalten? Eva Stengel erklärt, warum Vielfalt in der Natur entscheidend ist, wie unter anderem industrielle Landwirtschaft sie gefährdet und warum selbst kleine Schritte in unseren Gärten große Veränderungen bewirken können.
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Bild: Eva Stengel, privat
Eva, was ist Biodiversität?
Bei der Biodiversität geht es nicht um einzelne Tiere oder einzelne Bereiche, sondern um die Summe aller Einzelheiten. Das heißt, alle Tier- und Pflanzenarten, alle Gene, alle Lebensräume – das gesamte Gefüge dessen, was auf der Erde und in der entsprechenden Vielfalt zu finden ist. Der Mensch ist auch eine Tierart: Die Art Homo sapiens aus der Familie der Menschenaffen und Familie der Säugetiere.
Jetzt passen sich ja alle Arten von Lebewesen evolutionsbedingt an ihre jeweiligen Umgebungen an. Dabei kommen neue Arten hinzu und andere fallen weg. Das heißt, die Diversität verändert sich ja völlig natürlich. Wo liegt das Problem.
Die traurige Tatsache ist, dass wir uns in der Erdgeschichte - bedingt durch menschliches Handeln - im sechsten Massenaussterben befinden. Seit Jahren und Jahrzehnten wird beobachtet, dass im Schnitt 150 Arten aussterben – täglich!
Quellen:
Erdgeschichte: Das sechste Massenaussterben - Spektrum der Wissenschaft
Die ignorierte Megakrise: 150 Tier- und Pflanzenarten sterben aus – jeden Tag
Ist das bereits spürbar – wie wirkt sich das denn konkret auf uns Menschen aus?
Das Artensterben bedroht die Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, von denen Landwirtschaft und Ernährung abhängen, und bringt damit die Welternährung „in enorme Gefahr“, warnt unter anderem auch die UN.
Artensterben aufhalten – warum es (auch) auf die Wirtschaft ankommt
Ich weiß ja nicht, ob Du Schokolade magst?
Ja, leider (lacht)!
Schokolade wird überwiegend aus Kakao hergestellt, und Kakao ist eine Frucht, die an einem Baum wächst – vor allem in Ländern der südlichen Hemisphäre. Damit diese Frucht entstehen kann, braucht es Bestäubung. Diese Bestäubung wird in diesem Fall von lediglich zwei Arten winziger Fliegen (Gnitzen und Gallmücken) übernommen. Wenn also genau diese Fliegen nun auch aussterben, gibt es tatsächlich nur noch eine Möglichkeit: die Kakaoblüte von Hand zu bestäuben. Das ist jedoch faktisch unmöglich. An diesem Beispiel sieht man, was es bedeutet, wenn Insektenarten verschwinden. Es gibt noch viele weitere Aspekte. Wenn Vielfalt durch Monokulturen ersetzt werden, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft, dann werden die wenigen verbleibenden Arten viel anfälliger. Ein einziger Pilz kann beispielsweise eine komplette Maisplantage vernichten.
Pilze bedrohen Schweizer Getreide und Mais
Auch die Gefahr, dass sich Krankheiten verbreiten, steigt massiv an. Tödliche Epidemien, die durch Viren verursacht werden, die bisher nur in den tiefsten Urwäldern vorkommen, können sich viel schneller ausbreiten, wenn die Urwälder zerstört werden und die Vielfalt fehlt.
Tödliche Epidemien, die durch Viren verursacht werden, die bisher nur in den tiefsten Urwäldern vorkommen, können sich viel schneller ausbreiten, wenn die Urwälder zerstört werden und die Vielfalt fehlt.
Oder Krankheiten, die ihren Ausgang in der Massentierhaltung haben – wie z. B. die Vogelgrippe. Die Natur ist normalerweise in der Lage, Parasiten, Viren und andere Schädlinge in Schach zu halten, indem es viele natürliche Feinde gibt, die sich dagegenstellen. Fehlen diese Feinde, kann sich das Problem ungehindert ausbreiten.
Biodiversität und Zoonosen - Teil 4: die Tropen | Nationale Forschungsplattform für Zoonosen
Der Mensch hat also ein wirklich großes und konkretes Interesse daran, Biodiversität – also Vielfalt – zu erhalten.
Jetzt argumentieren viele, dass man die industrielle Landwirtschaft braucht, um die Masse an Lebensmitteln herzustellen und die vielen Menschen zu ernähren.
Das ist leider eine Legende, die aufgebaut wurde. Dahinter stecken konkrete wirtschaftliche Interessen global agierender Konzerne. Tatsächlich wird die Menschheit nach wie vor überwiegend von Kleinbauern ernährt. Das glaubt man kaum, aber gerade in der südlichen Hemisphäre sind es immer noch Kleinbauern, über die hauptsächlich Landwirtschaft erfolgt. Diese gehen viel Ressourcenschonender mit ihrer Umgebung um, als die riesigen industriellen Betriebe, die sich mehr und mehr beispielsweise im Amazonasgebiet, in Asien oder in Teilen Afrikas ausbreiten.
FAO-Bericht: Kleinbauern sind das Rückgrat der Welternährung
Industrielle Landwirtschaft ist nur möglich, indem man massiv in den Naturhaushalt eingreift – durch den Einsatz von Pestiziden, Insektiziden und teilweise genmanipuliertem Saatgut. Die Folge ist eine dramatische Degradierung der Böden Jahr für Jahr gehen zehn Millionen Hektaren Ackerland durch Erosion verloren, laut der Welternährungsorganisation FAO ist bereits rund ein Drittel der fruchtbaren Böden verbraucht.
Zukunft der Welternährung: Raus aus der industriellen Landwirtschaft | WOZ Die Wochenzeitung
Es gibt sehr viele Bestrebungen, Modelle zu entwickeln, die auch in großem Maßstab eine diverse Landwirtschaft ermöglichen. Diese Modelle erhalten die Biodiversität, anstatt sie zu zerstören. Leider gelingt es Lobbyisten, etwa von Saatgutherstellern oder Pestizidproduzenten wie Glyphosatherstellern, erfolgreich großen Einfluss auf die Politik zu nehmen und positive Lösungen zu verhindern.
Ein ganz wichtiger Punkt ist der immense Fleischhunger auf der Welt. Zwar scheint es in Deutschland so, als ob Veganismus und Vegetarismus auf dem Vormarsch seien, aber global betrachtet ist das Gegenteil der Fall: Der Fleischkonsum nimmt zu.
Zwar scheint es in Deutschland so, als ob Veganismus und Vegetarismus auf dem Vormarsch seien, aber global betrachtet ist das Gegenteil der Fall: Der Fleischkonsum nimmt zu.
Kühe und Schweine brauchen Futter, und hierfür werden vor allem Futterpflanzen wie Soja und Mais angebaut, was Monokulturen weiter vorantreibt – vor allem in Entwicklungsländern, stets zum Schaden der dortigen Bevölkerung.
Je mehr Fleisch auf dem Teller, desto weniger Tier- und Pflanzenarten - SWR Wissen
Wobei die großen Hungersnöte ja nicht mehr so präsent sind wie früher. Bedeutet das nicht, dass die Idee der industriellen Landwirtschaft aufgeht?
Es hungern aktuell um die 750 Millionen Menschen – obwohl genügend Nahrung für alle da wäre! Weltweit sterben im Schnitt 9 Millionen Menschen jährlich am Hunger. Gleichzeitig sind massiv zivilisatorische Erkrankungen wie Diabetes und Fettleibigkeit auf dem Vormarsch – bedingt durch industriell verarbeitete Lebensmittel. Menschen leben länger, aber nicht unbedingt besser. Adipositas ist wirklich ein riesiges Thema, vor allem in Schwellenländern. Das verteuert wiederum die Gesundheitsversorgung insgesamt.
Zivilisationskrankheiten auf dem Vormarsch
Der Wohlstand ist in kurzer Zeit kolossal gewachsen und die Menschheit hat sich entsprechend vermehrt. Aber genau dadurch stehen wir in vielen Bereichen zwischenzeitlich an Kipppunkten, die die Zukunft des Lebens auf der Erde ernsthaft in Frage stellen.
Warnung vor Kipppunkten bei Artensterben | tagesschau.de
Sind das nicht zwei konkurrierende Modelle: die industrielle Landwirtschaft, die den Boden chemisch aufrüstet, und die biodiverse Alternative?
Ganz klar, das sind zwei konkurrierende Modelle. Sie stehen vor allem deshalb im Widerstreit, weil etablierte Strukturen kein Interesse an Veränderungen haben.
Das sieht man auch beim Thema Klimawandel: Es ist belegt, dass die fossile Industrie über Jahrzehnte ihre gesamte Energie darauf verwendet hat, Politiker zu beeinflussen, damit sie weiterhin auf fossile Energie setzen. Mit pseudowissenschaftlichen Untersuchungen und anderen Strategien. Es gibt inzwischen konkrete Nachweise, dass Energiekonzerne gewaltige Summen investiert haben, um Erkenntnisse zum Klimawandel zu unterdrücken und nicht in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Obwohl gleichzeitig die Wissenschaft seit Jahrzehnten vor den Folgen der Erderwärmung durch den Einsatz fossiler Energie warnen.
Was der Ölkonzern Exxon schon vor Jahrzehnten über den Klimawandel wusste - Natur - derStandard.de › Wissen und Gesellschaft
Erdölindustrie: Die schwarze Lobby
Klimawandel: Der Ölkonzern Total wusste seit 1971 von der globalen Erwärmung - DER SPIEGEL
Und so ist es auch mit der Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft ist, was den Erhalt der Biodiversität angeht, wirklich der Dreh- und Angelpunkt. Und auch hier sind es wirtschaftliche Interessen, die echten Fortschritt verhindern. Das Geschäft mit dem Saatgut | Helvetas
Müssten dann nicht die LandwirtInnen eigentlich selbst am meisten Interesse an Biodiversität haben? Stattdessen setzen sie nach wie vor oft auf industrielle Landwirtschaft.
Genau. Es gibt dazu interessante Dokumentationen, die die Geschichte der Landwirtschaft aufarbeiten. In dem Moment, als industrielle Strukturen sich breitgemacht haben, sind die Bauern sehr schnell in wirtschaftliche Abhängigkeiten geraten. Ich habe sieben Landwirte aus dem Ostalbkreis interviewt, die von der konventionellen auf die ökologische Landwirtschaft umgestellt haben. (Die Interviews kann man übrigens auf dem Blog Das tun wir nachlesen):
Ein Hauptbeweggrund dieser Landwirte für die Umstellung war das Abschütteln von Abhängigkeiten. Das war durchgängig zu hören. Abhängigkeiten von Saatgutherstellern, Pestizidlieferanten und so weiter. Sie hatten darauf einfach keine Lust mehr. Viele haben sprichwörtlich am eigenen Leib gespürt, dass es ihnen nicht gut tut, Chemie einzusetzen.
In Frankreich ist zum Beispiel Parkinson mittlerweile als Berufskrankheit für Landwirte anerkannt, hervorgerufen durch den Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln und Insektiziden.
In Frankreich ist zum Beispiel Parkinson mittlerweile als Berufskrankheit für Landwirte anerkannt, hervorgerufen durch den Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln und Insektiziden.
In Deutschland ist man noch nicht so weit, aber in Frankreich können betroffene Landwirte Entschädigungen einfordern, weil der Zusammenhang eindeutig belegt ist. Berufserkrankung bei Landwirten: Pestizide verursachen Parkinson | NDR.de - Nachrichten - Niedersachsen - Studio Osnabrück
Wenn wir gerade über die Zukunft der Landwirtschaft sprechen: Ich habe viel über Vertical Farming gehört – also Pflanzenfabriken, die über mehrere Etagen hinweg, ganz ohne Erde, nur mit Nährstoffen arbeiten. Was ist davon zu halten?
Das Hauptproblem ist der enorme Energiebedarf solcher Farmen. Und man versiegelt zusätzlich Land. Außerdem schafft man hochanfällige Systeme. Wenn zum Beispiel ein kleiner Schädling eindringt, kann er die gesamte Ernte vernichten, weil die natürlichen Kreisläufe zur Balance fehlen. In Einzelfällen und in Städten kann es aber eine interessante Alternative sein. 13 Nachteile der vertikalen Landwirtschaft
Man sagt, diese Anlagen laufen in Reinraumqualität, sodass kein Käfer hineinkommt.
Ja, aber eine Garantie kann nie jemand vollständig übernehmen. Solche Zustände zu schaffen, erfordert zudem einen irrsinnigen Energieaufwand. Und das ist fragwürdig, weil wir in Zukunft Energie sparen sollten und nicht noch mehr verbrauchen.
Wenn wir von der großen Landwirtschaft zu kleineren Themen kommen – hier auf dem Land, wie im Ostalbkreis. Wir haben eigentlich viel Grün, trotzdem gibt es Initiativen, Steingärten zurückzubauen. Ist das wirklich notwendig? Macht das einen Unterschied?
Wir müssen verstehen: Nur weil etwas grün aussieht, bedeutet das nicht, dass es Vielfalt und intakte Natur ist. Oft sind das grüne „Leichentücher“.
Nur weil etwas grün aussieht, bedeutet das nicht, dass es Vielfalt und intakte Natur ist. Oft sind das grüne „Leichentücher“.
Deutschland wurde beispielsweise aktuell von der EU verklagt, weil viel zu wenig für den Erhalt unserer Wiesen getan wird. Über 70 Prozent von mehr als 2.000 untersuchten Pflanzenarten befinden sich deutschlandweit im Rückgang – so eine Studie. Wo gibt es noch vielfältig blühende Wiesen – außer dem allgegenwärtigen Löwenzahn sind kaum noch Wildpflanzen anzutreffen. Mit furchtbaren Folgen für Insekten und Vögel. Naturschutz: Kommission beschließt Klage gegen DEUTSCHLAND
Warum wird so oft gemäht?
Ein Grund ist der hohe Bedarf an Tierfutter für die Schweine- und Rinderzucht. Die Landwirte mähen ihre Wiesen inzwischen bis zu sechsmal im Jahr. Mit Maschinen, die rasend schnell arbeiten – so dass Insekten erst Recht keine Chance haben. Auch die mit dieser Bewirtschaftung einhergehende Überdüngung verschlimmert das Problem. All dies befeuert den Insektenrückgang, der ohnehin schon durch Insektizide und Pestizide dramatisch ist. Intensive Mahd führt zu eintöniger Landschaft :: BWagrar - - BWagrar
Und: Nicht nur die einzelnen Arten sind rückläufig, sondern die Masse der Insekten an sich!
Früher war es normal, mit dem Auto übers Land zu fahren und ständig die Windschutzscheibe von Insekten reinigen zu müssen – heute bleiben sie sauber. Da wird einem der massive Rückgang der Insektenpopulation ganz deutlich vor Augen geführt. Gleichzeitig hat eine wahnsinnige Versiegelung von Boden durch Bauen stattgefunden.
Hast du dazu konkrete Zahlen?
Jeden Tag gehen etwa 4,6 Hektar Flächen in Baden-Württemberg unwiederbringlich verloren. Der Jahreszuwachs an Siedlungs- und Verkehrsflächen von 2.190 Hektar entspricht einer Größenordnung von rund 3.129 Fußballfeldern (Stand 2023).
Damit gehen wichtige Bodenfunktionen, vor allem die Wasserdurchlässigkeit und die Bodenfruchtbarkeit, verloren. Der Raum, in dem sich die Natur regenerieren und erholen kann, wird immer kleiner.
Es gibt aber noch ein Restpotenzial, und das sind tatsächlich die heimischen Gärten. Das ist gar keine so winzige Fläche. Leider werden auch die Gärten immer kleiner. Doch das Potenzial, Gärten in "Rettungsinseln" zu verwandeln, ohne dass die Lebensqualität schrumpft, besteht noch immer. Im Gegenteil: Durch das viele Leben, das man beobachten kann, wächst die Lebensqualität sogar. Lebensfreude entsteht, wenn man Natur erleben darf. Und für die Klimaanpassung wird auch noch was getan – wie auch für die Wertsteigerung des Grundstücks an sich. Private Gärten – Beitrag zur Artenvielfalt | Umwelt im Unterricht: Materialien und Service für Lehrkräfte – BMUV-Bildungsservice | Umwelt im Unterricht
Worin genau liegt das Problem bei der Versiegelung der Gärten?
Die Versiegelung der Gärten – sei es durch Steingärten oder durch komplette Pflasterung für PKW-Stellflächen – hat im Rahmen der Klimaanpassung schlimme Folgen. Man verändert dadurch das Mikroklima, hat keinen Schutz vor Hitze und Starkregen.
Folgen von Flächeninanspruchnahme und Versiegelung - Regierungsportal M-V
Aber die Stellflächen für Autos müssen doch gemacht werden. Ich bin ja dazu verpflichtet.
Ja, aber die kann man anders gestalten. Du kannst zum Beispiel auf begrüntem Untergrund Stellflächen schaffen, durch die das Wasser versickern kann. Es mag vielleicht nicht so ordentlich aussehen, aber das Auto kann genauso gut parken. Unter dem Auto kann es weiterwachsen.
Du kannst zum Beispiel auf begrüntem Untergrund Stellflächen schaffen, durch die das Wasser versickern kann. Es mag vielleicht nicht so ordentlich aussehen, aber das Auto kann genauso gut parken. Unter dem Auto kann es weiterwachsen.
Das ist wichtig, weil wir uns mitten in der Klimakrise befinden und Starkregenphänomene immer schlimmer werden. Das Wasser muss versickern können.
Du hast gerade die Wasserläufe angesprochen. Mich interessiert: Warum erlaubt man in den Kocherauen, z.B. in Wasseralfingen oder Hüttlingen, dass dort immer weiter gebaut wird?
Das ist genau die Frage. Warum baut man im Ahrtal wieder teilweise an den gleichen Stellen, an denen vorher Häuser weggeschwemmt wurden? Da stehen einfach Interessen dahinter – von Menschen, die keine Einsicht haben. Punkt.
Schau Dir die Konversionsfläche der Bundeswehr in Ellwangen an. Dort steht noch ein wunderschöner Baumbestand, der die Lebensqualität im geplanten Wohnquartier enorm steigern würde. Was wird jetzt gemacht? Statt diesen Baum- und Heckenbestand von Anfang an komplett in die Planung einzubeziehen und zum Beispiel an vielen Stellen in die Höhe zu bauen, lässt man nur ganz vereinzelt besonders große Bäume stehen. Die wenigen, die ersatzweise nachgepflanzt werden, erfüllen frühestens in 50 Jahren die Funktionen der alten. Man müsste tatsächlich Tausende von Bäumen nachpflanzen, um die gefällten nur annähernd ersetzen zu können.
Ich habe gehört, man sollte Vögel das ganze Jahr über füttern. Warum das?
Genau aus den genannten Gründen. Seit 1850 ist der Vogelbestand um nahezu 80 Prozent zurückgegangen. Vögel erfüllen wichtige Funktionen: Sie verbreiten Samen und halten die Natur vielfältig.
Aber im Sommer gibt es doch genug Futter?
Eben nicht. Vögel finden im Sommer immer weniger Nahrung. Eine Meise fliegt ihr Nest am Tag zwischen 350 und 600 Mal an, um ihre Brut zu füttern – und die Jungvögel brauchen Insekten. Wenn es keine Insekten mehr gibt, verhungern die Jungen. Die Sonnenblumenkerne, die man im Sommer auslegt, fressen die Vogeleltern, um ihre Energie aufrechtzuerhalten und weiter nach Insekten zu jagen.
Die Sonnenblumenkerne, die man im Sommer auslegt, fressen die Vogeleltern, um ihre Energie aufrechtzuerhalten und weiter nach Insekten zu jagen.
Das heißt, man sollte das Vogelhäuschen das ganze Jahr über befüllen?
Ja, absolut. Die Max-Planck-Gesellschaft in Radolfzell, die den Vogelzug erforscht, hat dokumentiert, dass Ganzjahresfütterung Populationen im direkten Umfeld stabilisieren kann. Ganzjahresfütterung - Wildvogelhilfe.org
Was kann man denn noch tun, um die Biodiversität zu fördern?
Inzwischen ist es ein Leichtes, sich zu informieren und weiterzubilden. Es gibt unzählige Informationen in Büchern oder im Internet. Man kann es sich ganz einfach bewusst machen: Wenn man Kinder oder Enkel hat und ihnen eine lebensqualitativ hochwertige Zukunft bieten will, dann muss man sich mit diesen Themen beschäftigen und ins Handeln kommen.
Was kann man ganz persönlich tun?
Weniger Fleisch essen, möglichst ökologisch erzeugte Lebensmittel einsetzen, generell umweltfreundlicher konsumieren und den eigenen Garten oder Terrasse & Balkon naturnah gestalten. Das ist die einfachste Sache, die wirklich jeder tun kann.
Das eigene Konsumverhalten ändert sich ganz automatisch, je mehr man sich mit diesen Themen auseinandersetzt. Das ist eine ganz klare Konsequenz. Es sind so ganz kleine Dinge, die wirklich jeder umsetzen könnte, ohne dass man in irgendeiner Weise leidet.
Darauf zu achten, keine Palmölprodukte kaufen, ein ganzes Jahr Vogelhäuschen aufstellen, Stellplätze nicht mit Ziegeln zupflastern, sondern mit Rasengittersteinen und all diese Dinge, mehr laufen und, und, und …
Das Erstaunliche: Das Leben wird dadurch nicht mühsamer – sondern schöner – denn man beginnt, seine direkte Umgebung ganz anders wahrzunehmen, zu schätzen!
8 Tipps, um die Artenvielfalt zu schonen - [GEO]
Welche Informationsquellen nützt Du?
Zum Beispiel die Plattform utopia.de. Das ist eine sehr gute Quelle, um zu erfahren, worauf man beim Einkaufen achten sollte. Wenn man sich tiefergehend zum Thema Biodiversität informieren möchte, gibt es auch tolle Bücher, etwa von Dr. Frauke Fischer: Wal macht Wetter oder „Was hat die Mücke je für uns getan“ – dann natürlich alle Bücher um´s den naturnahen Garten – gibt es in wirklich jedem Buchhandel!
Wenn es um die Umgestaltung von Gärten geht, gibt es noch einen genialen Tipp von meiner Seite: Einfach mal nix machen! Im Garten eine Ecke einräumen, wo die Natur einfach schalten und walten darf. Wildnis gibt es fast nirgendwo mehr. In ganz Deutschland sind nur noch 0,6 Prozent Fläche, wo die Natur wirklich ihre Prozesse verfolgen - und sich selbst heilen kann. Deshalb wenigstens Miniwildnis – mehr dazu unter www.mini-wildnis.de.
Hättest du noch ein ermutigendes Statement oder einen Tipp für die Leserinnen und Leser?
Wir leben in einer Zeit von außerordentlichen und sehr rasch stattfindenden Veränderungen. Die Welt bleibt nicht so, wie wir sie die letzten 40 Jahre kannten. Das zu realisieren macht vielen Angst – sie möchten am Status Quo mit allen Mitteln festhalten. Einen Satz, den ich in dem Zusammenhang als sehr treffend empfinde: "Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut."
Das alles klingt in Summe doch auch sehr pessimistisch. Ist es nicht wichtig, hoffnungsvoll zu bleiben?
Natürlich. Der Mensch ist unglaublich anpassungsfähig und durchaus in der Lage, intelligent zu handeln. Wirklich Hoffnung macht: Es gibt bereits alle Lösungen, um die Welt zu einem besseren, friedlicheren und schöneren Ort zu machen. Man muss diese nur endlich - und vor allem auch schnell nutzen. Viel Zeit bleibt nicht …
Es gibt bereits alle Lösungen, um die Welt zu einem besseren, friedlicheren und schöneren Ort zu machen. Man muss diese nur endlich - und vor allem auch schnell nutzen. Viel Zeit bleibt nicht …
Also ist es möglich?
Absolut. Wir sind als Spezies kreativ und lernfähig. Wenn wir gemeinsam im Kleinen und Großen ins Handeln kommen, kann es gelingen.
Vielen herzlichen Dank!
Sehr gerne!
Hinweis:
Die Quellen und Verweise wurden auf Wunsch von Eva Stengel eingefügt und benannt. MAA hat die Quellen nicht verifiziert.