
MAA spricht mit Annika Walter
Selbstständig machen und Auswandern mit ADHS
Annika Walter hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und lebt heute als Businesscoach für Menschen mit ADHS in Portugal. Im Interview spricht sie über ihren Weg in die Selbstständigkeit, die Herausforderungen dabei und den Mut, ihre Träume konsequent zu verfolgen.
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Bild: Annika Walter, privat
Annika, mittlerweile bist du seit circa 5 Jahren selbstständig. Wie kam es überhaupt dazu, dass du dich selbstständig machen wolltest?
Eigentlich wusste ich schon immer, dass ich mein eigenes Ding machen möchte. Alle Entscheidungen, die ich auf beruflicher Ebene getroffen habe, hatten immer das Ziel, irgendwann mal eine Führungsposition zu erreichen oder eben mein eigenes Ding zu machen. Ich selbst habe ADHS und arbeite als Businesscoach für Menschen mit ADHS. Das hat viel damit zu tun, dass wir ADHS´ler uns oft in festgefahrenen Systemen schwer tun, weil wir ständig innovative Ideen haben und gerne ausbrechen möchten.
Es fühlte sich oft so an, als hätte ich diese Entscheidungen gar nicht selbst getroffen, sondern, als hätte das Leben mich immer wieder in die richtige Richtung geschubst.
Schon mit 15 habe ich mein erstes Seminar zur Persönlichkeitsentwicklung besucht, und ab da begann mein Weg. Es fühlte sich oft so an, als hätte ich diese Entscheidungen gar nicht selbst getroffen, sondern, als hätte das Leben mich immer wieder in die richtige Richtung geschubst. Jede Entscheidung öffnete mir neue Türen, und irgendwann wusste ich einfach: Das ist es, mach’s! Auch wenn ich wusste, dass es schwer werden würde.
Der ausschlaggebende Punkt war dann mein Sozialmanagement-Studium. Meine Dozentin sprach mich an, weil sie Potenzial in mir sah, und schlug vor, eine Coachingausbildung zu machen. Das tat ich, und direkt nach Abschluss der Ausbildung habe ich mich selbstständig gemacht. Ich habe sofort gemerkt, dass das genau mein Ding ist. In der Schule war ich nicht besonders gut, aber sobald ich etwas gefunden habe, das mir Spaß macht und wo meine Stärken liegen, bin ich total aufgeblüht.
Das ist typisch für ADHS: Entweder man ist grottenschlecht in etwas oder ein absoluter Überflieger.
Sich selbstständig zu machen ist oft gerade zu Beginn eher ein steiniger Weg. Was waren für dich die größten Herausforderungen?
Der Weg in die Selbstständigkeit war anfangs wirklich steinig. Besonders in einem kleinen „Dorf“ wie Aalen oder Hüttlingen (da komme ich ursprünglich her). Ich war oft die Einzige in meinem Umfeld, die diesen Weg eingeschlagen hat, und das machte es manchmal einsam. Niemand in meinem Freundeskreis oder meiner Familie konnte wirklich nachvollziehen, was ich durchmache. Meine Eltern waren zwar selbstständig, aber in ganz anderen Bereichen, sodass ich mich nicht wirklich an ihnen orientieren konnte.
Es war schwer, von anderen belächelt zu werden, vor allem, weil viele nicht verstanden haben, was ich eigentlich mache.
Es war schwer, von anderen belächelt zu werden, vor allem, weil viele nicht verstanden haben, was ich eigentlich mache. Sich im Internet sichtbar zu machen, war eine riesige Hürde, aber ich wusste, was ich wollte, und habe mich durchgebissen. Ich habe immer an mein Ziel geglaubt und mich von niemandem aufhalten lassen. Ein Zitat, das mich in dieser Zeit begleitet hat, lautet: "Du hast immer zwei Möglichkeiten: Entweder du trennst dich von deinen Träumen oder von den Traumdieben." Ich habe radikal Distanz zu denen aufgebaut, die mich nicht unterstützt haben, und bin konsequent meinen Weg gegangen.
War das der Grund für den Wunsch auszuwandern? Oder was hat dich dazu bewegt?
Der Wunsch auszuwandern war schon lange in mir verankert, ähnlich wie der Drang, mich selbstständig zu machen. Bereits 2011, als ich meine Erzieherausbildung begann, wusste ich, dass ich irgendwann Deutschland verlassen möchte. Das war nie ein konkret ausgearbeiteter Plan, sondern eher ein Gefühl, das mich stets begleitet hat. In meinen Partnerschaften habe ich von Anfang an klargemacht, dass Auswandern für mich eine klare Option ist.
Ich wollte von überall aus arbeiten können und diese Freiheit nutzen, die das Online-Business mir bietet.
Natürlich hat auch meine Selbstständigkeit eine Rolle gespielt, insbesondere das Bedürfnis nach örtlicher Flexibilität. Ich wollte von überall aus arbeiten können und diese Freiheit nutzen, die das Online-Business mir bietet. Mich hat es schon immer in die Ferne gezogen, und ich habe nie wirklich ein Gefühl von Zuhause in Deutschland gehabt. Es war oft schwierig, ein Umfeld zu finden, das meine Visionen und Träume teilt. Der übliche Smalltalk mit Bier am Stammtisch hat einfach nicht zu mir gepasst.
Im letzten Jahr hat sich dieser Wunsch konkretisiert, als ich auf einem Event am Bodensee Menschen traf, die bereits ausgewandert waren oder es planten. Diese Begegnungen gaben mir den letzten Anstoß. Kurz darauf entschied ich, für drei Monate nach Portugal zu gehen, um zu sehen, ob es sich für mich richtig anfühlt. Zwei Monate später bin ich nach Portugal ausgewandert.
Du hast es geschafft dich mit deinem „Ding“ selbstständig zu machen. Was würdest du Menschen empfehlen, die noch nicht wissen, was ihr „Ding“ ist, jedoch auch den Wunsch hin zur Selbstständigkeit verspüren?
Um "sein Ding" zu finden, ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen und den Prozess als längeren Weg zu betrachten. Ein guter Ansatz ist es, sich zu überlegen, was einem als Kind besonders viel Spaß gemacht hat. Damals ging es noch nicht ums Geldverdienen, sondern einfach darum, was Freude bereitet.
Das kann ein Hinweis auf deine wahre Leidenschaft sein. Für Menschen mit ADHS, wie ich es selbst habe, ist der Spaßfaktor essenziell. Denn ohne Spaß verliert man schnell das Interesse. Eine gute Übung ist es, eine Liste mit 50 Dingen zu erstellen, die einem Freude bereiten, und zu schauen, ob es Gemeinsamkeiten gibt, die auf eine mögliche Berufung hinweisen.
Was ich im nächsten Schritt jedem empfehlen würde, ist, sich jemanden an die Hand zu nehmen, der einen auf diesem Weg begleitet. Es ist zwar möglich, vieles allein zu schaffen, aber die inneren Blockaden, Ängste und Unsicherheiten sind oft größer als man denkt. Diese emotionale Stabilität ist entscheidend, um langfristig erfolgreich zu sein. Auch wenn man alle Business-Strategien kennen würde, ohne ein starkes inneres Fundament brechen diese irgendwann zusammen. Daher arbeite ich auch zu 80 % mit meinen Kunden im Bereich Mindset.
Es ist wichtig, sich von der Illusion zu lösen, dass man den Weg eines anderen genau kopieren kann.
Es ist wichtig, sich von der Illusion zu lösen, dass man den Weg eines anderen genau kopieren kann. Stattdessen sollte man auf sein eigenes Gefühl hören und den Mut haben, die eigenen Schritte zu gehen. Dabei ist es hilfreich, einen Mentor oder Coach zu haben, der einem den Weg erleichtert. Schließlich hat auch jeder Hochleistungssportler einen Coach an seiner Seite, um sein volles Potenzial zu entfalten.
Und genau dazu möchte ich die Menschen ermutigen: „Finde deine Leidenschaft und dann geh ihr nach. Im besten Fall suchst du dir jemand an die Seite, der dich auf deinem Weg begleitet.“